willkommen im wedding!

Mitte der 1920er jahre entwarf der archi­tekt Ludwig Mies van der Rohe die wohn­anlage an der afri­kani­schen stras­se für einen stand­ort im dama­ligen ver­wal­tungs­bezirk wedding von berlin.

Die wohnanlage ist Mies‘ grösster kommunaler wohnbau aus der zeit vor seiner emigration in die USA im Jahr 1938. Er umfasst mehr als dreieinhalb mal so viele wohnungen wie der von ihm kurz darauf entworfene wohnblock in der stuttgarter weissenhofsiedlung.

Viele wichtige Fragen zu den umständen der entstehung der wohnanlage an der afrikanischen strasse sind seit jahrzehnten ungeklärt, weil die quellenlage dürftig ist.

In einem neuen ansatz erforschen, dokumentieren und vermitteln wir die geschichte der wohnanlage an der afrikanischen strasse im zusammenhang mit der zwischen goethepark und afrikanischer strasse gelegenen siedlung jungfernheide. Dabei erschliessen wir mit hilfe statistischer verfahren ein breites feld vieler kleinteiliger quellen zu siedlung und wohnanlage.

siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse

Die häuser der wohnanlage an der afrikanischen strasse waren zwar nicht die ersten bauten an der afrikanischen strasse, sie sind jedoch die ersten bauten, die hausnummern in der afrikanischen strasse erhielten (Bauzeit 1925–1927).

Die wohnanlage ergänzt die blockränder der benachbarten siedlung jungfernheide, bestehend aus den siedlungshäusern an senegalstrasse, tangastrasse, ugandastrasse, dualastrasse, sambesistrasse und den häusern des nummernbereichs 27 der transvaalstrasse (bauphase 1: entwurf Hermann Dernburg, bauzeit 1920–1922; bauphase 2: bauzeit 1924–1926).

Die wohnanlage an der afrikanischen strasse wurde unmittelbar auf der früheren gemeindegrenze zwischen der stadtgemeinde berlin und der landgemeinde tegel errichtet. Sie verlief an dieser stelle nicht bis zur bildung von gross-berlin im jahr 1920, sondern bis 1915. Die gemeindegrenze folgte dem verlauf des östlich der grenze fliessenden langen fenns (mehr dazu im abschnitt landschaftsgeschichte). Die westlich der gemeindegrenze gelegene siedlung jungfernheide steht deshalb vollständig auf dem früheren gebiet der landgemeinde tegel.

Der ausschnitt aus einem luftbild vom 11. oktober 1959, 11:39:45 uhr, zeigt in der mit­te die wohnanlage an der afri­kanischen strasse (ent­wurf Lud­wig Mies van der Ro­he, bauzeit 1925–1927) und west­lich davon den aus­ge­führ­ten teil der sied­lung jung­fern­hei­de (bau­pha­se 1: entwurf Her­mann Dernburg, bauzeit 1920–1922; bau­pha­se 2: bau­zeit 1924–1926). Den bildflug führte das unternehmen aero exploration gmbh aus frankfurt am main durch. Dabei wurde eine reihen­mess­ka­me­ra des typs zeiss aerotopograph RMK 21/18 eingesetzt. Quelle: Geoportal Berlin, Luftbilder 1959, Masstab 1:10.000, Nr. 235. Datenlizenz: dl-de/by-2-0. Volltext: www.govdata.de/dl-de/by-2-0. Wir haben das originalfoto projektiv entzerrt.
Der ausschnitt aus einem luftbild vom 11. oktober 1959, 11:39:45 uhr, zeigt in der mit­te die wohnanlage an der afri­kanischen strasse und west­lich davon den aus­ge­führ­ten teil der sied­lung jung­fern­hei­de. Quelle: Geoportal Berlin, Luftbilder 1959, Masstab 1:10.000, Nr. 235. Datenlizenz: dl-de/by-2-0. Wir haben das originalfoto projektiv entzerrt.

eine geschichte mit unerwarteten einsichten

Sowohl bei der siedlung jungfernheide als auch bei der wohnanlage an der afrikanischen strasse handelt es sich wegen ihrer ursprünglich kommunalen trägerschaft und ihrer lage in einem kolonialviertel um politische bauprojekte.

Die erforschung ihrer geschichte braucht deshalb andere perspektiven als die erforschung der geschichte der häuser für private auftraggeber·innen, die mit abstand den grössten teil des gebauten werkes von Ludwig Mies vor seiner emigration ausmachen.

Einer der offensichtlichsten unterschiede im vergleich zu den von Mies entworfenen eigentumhäusern ist, dass die bewohner·innen der kommunalen bauten mit den architekt·innen weder vor noch nach deren fertigstellung persönlich bekannt sind.

Mit blick auf ihren politischen charakter ist die wohnanlage eher mit anderen politischen bauprojekten des architekten für die öffentliche hand vergleichbar, beispielhalber seinen wettbewerbsbeiträgen

Im unterschied zu den entwürfen für diese politischen bauprojekte wurde die wohnanlage an der afrikanischen strasse jedoch tatsächlich auch gebaut.

Für unsere forschung zu siedlung und wohnanlage hat die rekonstruktion des landschaftsbildes zur bauzeit einen hohen stellenwert — sowohl wegen der schlechten quellenlage zur wohnanlage an der afrikanischen strasse als auch wegen der nutzung einer dünenlandschaft für den bau eines kolonialviertels:

Welche landschaft sahen die architekt·innen, als sie das künftige baufeld besuchten?

Siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse sind teil des afrikanischen viertels im westlichen winkel zwischen müllerstrasse und seestrasse im berliner ortsteil wedding.

Die frage, wie die ortslage afrikanisches viertel zu ihrem namen kam, ist bis heute nicht sicher geklärt.

Zwei verbreitete annahmen schreiben die benennung der ortslage entweder den plänen von Carl Hagenbeck aus der zeit um 1900 zu, zwischen afrikanischer strasse und plötzensee einen tierpark nach hamburger muster anzulegen, oder schlechthin der kolonialpropaganda des deutschen reichs.

Beide annahmen erweisen sich als unzutreffend, denn obwohl die strassennamen des afrikanischen viertels in einem eindeutig kolonialen bezug stehen, lässt sich anhand von literarischen quellen zeigen, dass in der öffentlichen wahrnehmung die aufladung der früheren dünenlandschaft der rehberge mit afrika-bildern spätestens an der wende vom 18. zum 19. jahrhundert begann.

Im bereich des baufeldes der siedlung jungfernheide, des heutigen goetheparks und der wohnanlage an der afrikanischen strasse war die dünenlandschaft stark überformt von mehreren schiessplätzen der preussischen armee (mehr dazu im abschnitt militärgeschichte).

Auch Hagenbecks entwurf für einen tierpark an dieser stelle der jungfernheide nutzte die eigenheiten der militärisch überformten dünenlandschaft. Die pläne seines unternehmens sahen vor, die gräben der ehemaligen schiessbahnen als themen-täler auszustatten, beispielhalber eine ›affenschlucht‹.

Durch die dünen verlief ein heute überbautes feuchtgebiet: Das lange fenn. Auf dieses fenn geht die seenkette am östlichen rand des volksparks rehberge zurück. Der seit über 100 jahren nicht mehr vorhandene wasserlauf des fenns, der fenngraben, ist auch im bereich der vorderen afrikanischen strasse (d.h. zwischen transvaalstrasse und seestrasse) bis in die gegenwart stadtbildprägend.

Die seestrasse überquerte den fenngraben mit einer brücke an der stelle, an der sich heute die strassenbahnhaltestelle seestrasse / amrumer strasse befindet. Von dort verlief der fenngraben weiter zur triftstrasse, die ihn auf höhe des heutigen studenwohnheims augustenburger platz ebenfalls mit einer brücke überquerte.

Die luxemburger strasse wurde in diesem bereich erst im zusammenhang mit dem bau der U-bahnlinie 9 angelegt. Ihre aufgabe als hauptverkehrsstrasse erfüllte zuvor die triftstrasse.

Ab dem pekinger platz verläuft der spandauer schiffahrtskanal heute in der früheren lage des fenngrabens. Der graben mündete in der nähe des hauptsbahnhofs in die spree. Torfstrasse und fennstrasse weisen mit ihren namen auf den früheren verlauf des langen fenns und des fenngrabens hin.

Das gebiet, das heute eingenommen wird von siedlung jungfernheide, wohnanlage an der afrikanischen strasse, goethepark und volkspark rehberge, wurde zuvor viele jahrzehnte für mehrere schiessplätze der preussischen armee genutzt.

Ihre schiessbahnen verliefen in etwa parallel zum langen fenn (mehr dazu im abschnitt landschaftsgeschichte). Die dünen der rehberge, vor allem aber die grosse sicheldüne im volkspark rehberge (carl-leid-weg) dienten ihnen als kugelfang. Die schützenstände (d.h. die stellen, an denen die waffen abgefeuert wurden) waren in etwa auf höhe der heutigen ugandastrasse angeordnet.

Eine folge dieser nutzung ist, dass siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse auf einer militärischen konversionsfläche errichtet wurden. Deshalb ist nicht unwahrscheinlich, dass in diesem bereich bei garten- oder erdarbeiten metallische gegenstände gefunden werden, beispielhalber gürtelschnallen, uniformknöpfe, kettenglieder, teile von zaumzeug, nägel von holzgestellen für schiessscheiben, hufnägel oder patronenhülsen.

Die frühere militärische nutzung ist bis heute auch landschaftsprägend. Ein beispiel dafür ist der hohlweg, der in die grosse düne des goetheparks eingeschnitten ist: Er wurde gegraben, um dort schiessbahn 13 auf dem schiessplatz des zweiten garde-regiments zu fuss anzulegen. Die heutige senegalstrasse verläuft zwischen transvaal- und sambesistrasse auf der früheren schiessbahn 12 dieses schiessplatzes.

Da die errichtung der siedlung jungfernheide und der wohnanlage an der afrikanischen strasse politische bauvorhaben waren, gab es zu ihnen und den ihnen vorausgehenden bebauungsplänen anders als zu Ludwig Mies‘ bauten für private auftraggeber·innen ausführliche, teilweise jahrelange vorgänge auf mehreren ebenen der öffentlichen verwaltung und in den jeweiligen politischen gremien wie der stadtverordnetenversammlung von berlin und der bezirksversammlung wedding (vorläuferin der bezirksverordnetenversammlung).

Die wechselwirkungen erstrecken sich bis in die verwaltung des königsreichs preussen und nach der novemberrevolution des freistaates preussen. Beispielhalber hatte die preussische verwaltung bereits vor dem ersten weltkrieg geplant, die drei evangelischen friedhöhe an der äusseren seestrasse aufzugeben, weil sie den gemeinden von der königlichen forstverwaltung kostenfrei überlassen worden waren. Das gebiet der friedhöfe sollte für die bebauung mit wohnquartieren freigelegt werden. An die sich aus diesen planungen ergebende freiflächengrenze setzte Ludwig Mies die nördliche schmalseite des hauses afrikanische strasse 15 (ladengeschäft). Historische luftbilder belegen, dass der unmittelbar vor der schmalseite liegende fußweg teil der gartenstruktur der wohnanlage ist, obwohl er heute rechtlich zu einem benachbarten grundstück gehört.

Zur steuerung der bauvorhaben in der jungfernheide bildete die stadtverordnetenversammlung von berlin im jahr 1919 eine kommission, über deren mitglieder und tätigkeit bisher fast nichts bekannt ist.

Auch die denkmalrechtliche nach-inventarisierung der seitenflügel der wohnanlage in den 1980er jahren (mehr dazu im abschnitt denkmalgeschichte) löste eine debatte in der damaligen bezirksverordnetenversammlung wedding aus.

Ein wichtiger kommunalgeschichtlicher aspekt, der bisher für den früheren bezirk wedding in der zeit der weimarer republik nicht beforscht wurde, ist die rolle des bezirks-baustadtrats ingenieur Hans Bock (USPD) in der umsetzung der vielen bauprojekte der weimarer moderne im bezirk. Bock war die bezirkliche gegenstelle zum bis heute bekannten berliner magistrats-baustadtrat Martin Wagner (SPD).

Siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse sind nicht nur ihrer lage und ihren strassennamen nach teil eines kolonialviertels.

Historische akten weisen darauf hin, dass anders als in allen anderen teilen des afrikanischen viertels auch in den entwurf der siedlung jungfernheide koloniale wertvorstellungen einflossen.

Da Ludwig Mies die wohnanlage an der afrikanischen strasse in den strassenverlauf der siedlung jungfernheide eingepasst hat, wirken die kolonialen wertvorstellungen auch auf den entwurf der wohnanlage ein.

Während zu architekt·innen, die vor dem jahr 1925 geboren wurden, die frage nach wechselwirkungen mit dem handeln des nazi-regimes heute praktisch eine selbstverständlichkeit ist, fehlt zu architekt·innen, die vor dem jahr 1900 geboren wurden, bisher die selbstverständlichkeit der frage nach etwaigen wechselwirkungen mit kolonialpolitik und -verwaltung und der damit zusammenhängenden kolonialwirtschaft.

Tatsächlich finden sich mehrere solcher wechselwirkungen in allen phasen des werks von Ludwig Mies über die von ihm entworfene wohnanlage an der afrikanischen strasse hinaus.

Die frühere dünenlandschaft der rehberge wurde seit langem als drehort für spielfilme vermutet. Eine darauf passende, historische film­produk­tion war bisher jedoch noch nicht ausfindig gemacht worden. Grund dafür könnte gewesen sein, dass viele filme aus der zeit der weimarer republik nicht erhalten sind.

Nach einem aktenfund im lauf unserer forschung lassen sich nun drehtermine der universum film AG (UFA) im oktober 1925 für den bereich zwischen dem heutigen goethepark und dem heutigen volkspark rehberge belegen. Die betreffende quelle enthält unter anderem kon­struk­tions­zeich­nungen zu einigen filmbauten, einem fahrbaren teil der film­ausstattung und zu zwei gerüsten für erhöhte feste kamera­positionen.

Wir konnten nachweisen, dass bei diesen dreharbeiten massenszenen für das kapitel turmbau zu babel in dem film metropolis von Fritz Lang aufgenommen wurden. Neben der übereinstimmung des szenenbildes mit den konstruktionszeichnungen weist auch die unterschrift des filmarchitekten Otto Hunte auf den zeichnungen auf dreharbeiten für den film metropolis hin.

Damit konnten wir erstmals einen überlieferten film identifizieren, für den einzelne einstellungen in der dünenlandschaft der rehberge gedreht wurden. Auch produktionsfotos der dreharbeiten sind überliefert.

Im grundsatz sind für die forschung zu siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse solche filmszenen deshalb von interesse, weil ein teil von ihnen das landschaftsbild zur bauzeit zeigen kann. Darüber hinaus stehen filmszenen, wenn sie von exotismus geprägt sind, in einem kolonialen zusammenhang, gerade auch deshalb, weil sie in der dünenlandschaft eines kolonialviertels gedreht wurden (mehr dazu im abschnitt kolonialgeschichte).

Im fall des kapitels turmbau zu babel aus metropolis erweist sich jedoch, dass es gerade nicht die dünenlandschaft war, die die dreharbeiten der UFA in die rehberge brachte, denn das landschaftsbild der rehberge wird im film nicht gezeigt.

Deshalb stellt sich die frage, ob Fritz Lang wegen der komparsen für die massenszenen in den wedding gekommen ist? Da der film metropolis mehrere massenszenen enthält, folgt aus der ersten frage als weitere frage, ob es eigenschaften gibt, die die komparsen im kapitel turmbau zu babel von den komparsen der übrigen massenszenen in metropolis unterscheiden?

Auch die vergleichende betrachtung der filmarchitektur für das kapitel turmbau zu babel und Ludwig Mies‘ entwurf für ein monumentales bismarck-denkmal in bingen lohnt, denn beide verwenden den gleichen architektonischen code: Jeweils zwei mesopotamische pylonen in symmetrischer anordnung, zwischen denen eine freitreppe aufgespannt ist.

Zur drehzeit im oktober 1925 stand bereits seit rund 15 jahren das auch heute noch vorhandene eckhaus afrikanische strasse / transvaalstrasse. Die bauphase 1 der siedlung jungfernheide war seit drei jahren durch die hyperinflation im deutschen reich beendet; seit einigen monaten lief nach dem ende der hyperinflation die bauphase 2 der siedlung.

Rund einen monat nach den dreharbeiten der UFA reichte das büro von Ludwig Mies am 16. november 1925 beim bezirksamt wedding die unterlagen zur errichtung der wohnanlage an der afrikanischen strasse ein. Das städtische grundstück für die wohnanlage war bis dahin als ackerland genutzt worden.

Die städtebauliche struktur und die häuser der bauphase 1 der siedlung jungfernheide wurden von Hermann Dernburg entworfen. Entsprechend der anforderungen, die an den entwurf gestellt waren, sollte die siedlung die möglichkeit zur selbstversorgung der pächter·innen bieten und zu diesem zweck auch die haltung von kleintieren auf den grundstücken möglich sein.

Das gebiet der siedlung gehörte nach der damals geltenden, ersten gross-berliner bauordnung zur bauklasse 2, während das gebiet der friedhöfe an der äußeren seestrasse der bauklasse 1 zugeordnet war. Eine wohnbebauung der friedhöfe hätte also eine siedlungsstruktur ergeben, die im vergleich zur siedlung jungfernheide sogar noch stärker aufgelockert gewesen wäre. Das gebiet der friedhöfe war jedoch nicht teil der siedlungsplanung.

Die städtebauliche struktur der siedlung jungfernheide nach Dernburgs entwurf wurde nur etwa zu einem drittel ausgeführt. Von den von ihm entworfenen häusern wurde sogar nur etwa ein sechstel gebaut, weil die bautätigkeit in eigenregie des bezirksamtes wedding (sog. regiebau) 1922 zur zeit der hyperinflation im deutschen reich zum erliegen kam.

Der nicht ausgeführte teil des städtebaulichen entwurfs lag westlich der senegalstrasse. Diese fläche wurde kurz darauf für die anlage des heutigen goetheparks genutzt. An der senegalstrasse, im bereich des goethesteins, hatte Dernburg einen rechteckigen dorfplatz vorgesehen. zwischen diesem dorfplatz und den friedhöfen sollte eine grundschule errichtet werden. An der südseite der verlängerten transvaalstrasse wären nach Dernburgs entwurf einzelhandelsflächen entstanden. Der breite grünstreifen auf transvaalstrasse und dohnagestell wurde für den bau einer strassenbahntrasse freigehalten.

Nach dem ende der hyperinflation wurden auf den noch nicht bebauten parzellen der bereits ausgewiesenen strassen zwischen goethepark und afrikanischer strasse von einer anderen wohnbaugesellschaft veränderte haustypen errichtet. Das betraf vor allem die tangastrasse: Dort wurden alle häuser erst in bauphase 2 der siedlung gebaut.

Zuletzt wurden ab 1926 die blockränder der siedlung mit der wohnanlage an der afrikanischen strasse nach dem entwurf von Ludwig Mies ergänzt. Der bereich westlich und östlich der vorderen afrikanischen strasse war der bauklasse 3 zugeordnet und ermöglichte deshalb eine bebauung mit bis zu 3 etagen. Sie sollte zu den häusern der bauklasse 4 überleiten, die erst im nördlichen teil der afrikanischen strasse errichtet werden durften (heutige friedrich-ebert-siedlung). Die bebauung der afrikanischen strasse gegenüber der wohnanlage von Ludwig Mies wurde jedoch nie ausgeführt. Durch sie wäre der stadtraum an der vorderen afrikanischen strasse eingefasst worden.

Die wohnanlage war das grösste projekt, dass Mies zu diesem zeitpunkt seiner berufstätigkeit ausgeführt hatte. In der reihe seiner ausgeführten modernen entwürfe steht sie zwischen dem Haus Ryder in wiesbaden und dem Haus Wolf in guben, während ihre grössenverhältnisse eher den architektonischen studien entsprechen, mit denen Mies in der ersten hälfte der 1920er jahre die grosse berliner kunstaustellung beschickt hatte. Die breite einer der drei zeilenbauten (block II–IV) entspricht etwa einer langseite der von Mies dreissig jahre später entworfenen crown hall in chicago.

Die wohnanlage ist eines der frühen beispiele in modernem stil für ein kenn­zeich­nen­des merkmal der entwürfe von Ludwig Mies: Die art der verschränkung von natur und umbautem raum.

Die garten- und wegestruktur der wohnanlage ist im wesentlichen erhalten, jedoch durch eine reihe von hainbuchen entstellt, die als vergeblicher lärmschutzversuch in den 1960er jahren entlang des gehwegs der afrikanischen strasse gepflanzt wurde und die seither den blick auf die fassaden verstellt.

Wer die gartenstruktur entwarf, ist nicht sicher bekannt, auch deshalb, weil dazu bisher keine pläne bekannt sind. Aus einer von uns neu aufgefundenen quelle geht hervor, dass das bezirksamt wedding für den 28. september 1926 ›zwecks Festlegung der Ausbildung der Vorgärten vor den Bauten […] Afrikanische Straße‹ zu einem ortstermin in der afrikanischen strasse einlud, an dem Ludwig Mies, bezirks-baustadtrat ingenieur Hans Bock (USPD), bezirks-gartendirektor Rudolf Germer und evtl. weitere personen teilnehmen sollten oder teilgenommen haben.

Die ergebnisse des ortstermins sind bislang unbekannt. In der forschung zur wohnanlage an der afrikanischen strasse ist diese quelle der erste greifbare beleg in form von schriftgut dafür, dass Mies an der entscheidungsfindung über die gartenstruktur beteiligt war. Das gilt freilich auch für die übrigen teilnehmer·innen des ortstermins.

Unklar ist bisher auch, warum die in der flucht der wohnanlage liegende parzelle zwischen sambesistrasse, afrikanischer strasse und transvaalstrasse unbebaut blieb? Dort wurde nach dem zweiten weltkrieg der heute vorhandene tennisplatz angelegt. Auf dieser parzelle hätte ein fünfter block der wohnanlage ohne weiteres platz gehabt. Da die wohnanlage mit dem gestaffelten block I an der tangastrasse einen gestalterischen auftakt erhielt, erscheint schlüssig, dass sie mit einem block V auch einen gestalterischen abschluss erhalten haben könnte.

Ein grund dafür, dass ein fünfter block der wohnanlage nicht ausgeführt wurde, könnte in der beginnenden weltwirtschaftskrise liegen. Es gibt jedoch auch hinweise darauf, dass die planungen für den volkspark rehberge vorsahen, die parkanlage auch auf den bereits errichteten teil der siedlung jungfernheide und die fläche der evangelischen friedhöhe an der seestrasse auszudehnen. Vor diesem hintergrund erscheint denkbar, dass das bezirksamt darauf hingewirkt hat, einen etwaigen fünften block nicht auszuführen.

Nach abschluss der arbeiten an den blöcken I–IV wurde die eckparzelle jahrelang als parkplatz genutzt. Sollte ein fünfter block tatsächlich geplant gewesen sein, ist dazu bisher kein entwurf bekannt.

Ludwig Mies setzte in seiner archigrafie (schrift am bau) grundsätzlich die klassizistisch geprägte DURCHGEHENDE GROSSSCHREIBUNG ein (sog. versal- oder majuskelschrift). Um zu einer kritischen distanz zu Mies‘ positionen und entwürfen beizutragen, verwenden wir gemässigte kleinschreibung.

Im rahmen unserer forschung schauen wir auch auf die sozialstruktur der frühen haushalte in siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse.

Dabei ist ungleich schwerer, aussagen zu den frauen in den haushalten zu machen als aussagen zu den männern, da die quellen entsprechend der damals üblichen handhabung vorwiegend männer als haushaltsvorstand nennen.

Alle personenbezogenen informationen in diesem abschnitt wurden quellen entnommen, die gemäss ihrer zweckbestimmung öffentlich zugänglich sind.

Zu den frühen bewohner·innen und nutzer·innen gehörten beispielhalber:

bewohner·in oder nutzer·inanschrift
Max Barthel (pseudonyme: Konrad Uhle, Otto Laurin), schriftsteller und übersetzer im umfeld von KPD und NSDAP. Nachbar von Friedrich ›Fritz‹ Rück.* — Das haus wurde vermutlich zumindest zeitweise auch von Barthels zweiter ehefrau Louise Barthel und ihren kindern Helga Barthel und Karl Wolfgang Barthel bewohnt. — 1933 Umzug in die siedlung schillerpark (heute corker straße 25, damals hausnummer 1), wo Barthel bis ende der 1930er jahre lebte.senegalstrasse 13
Gustav Bösel, stadtrat der KPD. Verbleib ab 1934 bisher ungeklärt.afrikanische strasse 29, etage 2
Julius Falk, herrenschneider mit atelier im haus bochumer strasse 11 (berlin-moabit).afrikanische strasse 23, etage 1
Wilhelm Gareis, architekt.afrikanische strasse 15, etage 1
Karl Heike, volkswirt, mitglied im reichsverband der deutschen volkswirte.afrikanische strasse 33, etage 2
Willy Hesse, stadtrat der KPD, später angestellter.afrikanische strasse 29, etage 1
Walther Löwenstein, kaufmann. Einziger bewohner im bereich der siedlung jungfernheide und der wohnanlage an der afrikanischen strasse, der im jüdischen adressbuch der Jahre 1929 und 1930 eingetragen ist, wenn auch mit einer falschen hausnummer, die es damals in der afrikanischen strasse nicht gab. Löwensteins verbleib ist bisher ungeklärt. In berlin ist ein stolperstein verlegt, der an ein opfer der shoa mit gleichem namen erinnert, dabei handelt es sich jedoch um eine andere person.afrikanische strasse 41
Friedrich ›Fritz‹ Rück (pseudonyme: Peter Wedding, Leo Kipfer), publizist und gewerkschaftsfunktionär im umfeld von USPD, KPD, SAPD und SPD; beteiligter der novemberrevolution im königreich württemberg; redakteur der roten fahne, nach dem zweiten weltkrieg chefredakteur der zeitschrift druck und papier (zentralorgan der industriegewerkschaft druck und papier), bundesvorsitzender der naturfreunde. — Das haus wurde vermutlich zumindest zeitweise auch von Rücks erster ehefrau Dora Rück bewohnt. — Nachbar von Max Barthel.* — Im herbst 1932 umzug nach stuttgart; im märz 1933 flucht nach basel.senegalstrasse 14
Ewald Schröder, milchhändler, erster betreiber des ladengeschäfts im block I der wohnanlage an der afrikanischen strasse.afrikanische strasse 15, hochparterre
Alfred Sielaff, herrenschneider mit atelier im haus ebelingstrasse 15 (berlin-friedrichshain).tangastrasse 8b
Erich Voigt, architekt; erster verwalter der wohnanlage an der afrikanischen strasse. Voigt bewohnte dort vermutlich die wohnung mit dem bis heute in veröffentlichungen am häufigsten gezeigten balkon der wohnanlage. Bisher ist ungeklärt, ob er als architekt auch an abschliessenden arbeiten zur fertigstellung der wohnanlage mitgewirkt hat.afrikanische strasse 19, etage 2
Adolf Zeisset, lebensmittelchemiker. Verfasser vieler wissenschaftlicher artikel zu teigführung und zu back- und lebensmitteltechnik.afrikanische strasse 19

*) Anmerkung: Max Barthel und Friedrich Rück waren seit 1913 befreundet, nachdem sie sich in stuttgart begegnet waren. Ihre freundschaft zerbrach an Barthels hinwendung zum nationalsozialismus.

Mindestens drei der haushaltsvorstände, die zu den erstbewohner·innen der wohnanlage an der afrikanischen strasse aus dem Jahr 1928 gehörten, lebten auch im jahr 1970 noch dort:

bewohner·inanschrift
Wilhelm Brusch, bürogehilfe, später bautechniker.ugandastrasse 8a
Otto Gille, lokomotivführer.afrikanische strasse 17
Paul Voigt, steuerassistent, später obersteuersekretär.dualastrasse 12a, etage 1 (1928) / afrikanische strasse 31 (1970)

Von weiteren haushalten in der wohnanlage in den jahren 1963 und 1970 lässt sich annehmen, dass es sich bei ihnen um haushalte von hinterbliebenen der ursprünglichen haushaltsvorstände handelt:

bewohner·in 1928bewohner·in späteranschrift
P[aul?] Erdmann, stadtobersekretär.Luise Erdmann (1963).tangastrasse 8a
Willi Fidrich, buchhalter.Margarete Fidrich (1970).afrikanische strasse 21
Fritz Fiebig, polizeibeamter.Frieda Fiebig, rentnerin (1970).afrikanische strasse 29, hochparterre
Wilhelm Gareis, architekt.Getrud Gareis (1970).afrikanische strasse 15, etage 1
Friedrich Gerber, kaufmann.Margarete Gerber, rentnerin (1963).afrikanische strasse 19, hochparterre
Otto Hilz, beamter.Ida Hilz (1963).afrikanische strasse 37, etage 2
Adolf Holz, angestellter.Helene Holz, fischhändlerin (1963).afrikanische strasse 21
Ewald Kranz, schlossermeister.Anna Kranz (1970).afrikanische strasse 41
Max Lange, stadtobersekretär.Gertrud Lange (1963).afrikanische strasse 23, etage 1
Georg Lasarzweski, stadtassistent.Gertrud Lasarzewski (1963).sambesistrasse 10a
Karl Marczinke, lokomotivführer.Elise Marczinke (1963).afrikanische strasse 37, hochparterre
Max Meseck, ingenieur.Hedwig Meseck, stenotypistin (1970).ugandastrasse 8b, etage 1
Max Müller, prokurist.Getrud Müller, stenotypistin (1963).afrikanische strasse 39, etage 2
Walter Redmann, reichsbahn-ladeschaffner, später schlosser.Helene Redmann, pensionärin (1963).afrikanische strasse 31
Alfred Röschert, stadtsekretär.Herta Röschert, kleberin (1963).afrikanische strasse 37, hochparterre
Reinhold Stenzel, lehrer, später rektor.Martha Stenzel (1963).afrikanische strasse 33, etage 2
Wilhelm Wagner, krankenpfleger.Anna Wagner, rentnerin (1970).sambesistrasse 10a, hochparterre

Schräg gegenüber des ladengeschäfts in der afrikanischen strasse 15 befand sich von 1889 bis 1939 eine grosse gartenwirtschaft mit festsaal, deren hauptgebäude das eckhaus seestrasse / afrikanische strasse war. Das ladengeschäft hatte also zur bauzeit der wohnanlage an der afrikanischen strasse anders als heute ein gewerbliches gegenüber mit vielen besucher·innen, zu denen sicherlich auch handwerker·innen und bewohner·innen der siedlung jungfernheide und der wohnanlage an der afrikanischen strasse gehörten.

Durch den garten des grundstücks verlief zumindest anfangs der fenngraben (mehr dazu im abschnitt landschaftsgeschichte). Das eckhaus der früheren gartenwirtschaft wurde in den 1980er jahren abgerissen.

Die gartenwirtschaft an der ecke zur afrikanischen strasse war der auftakt einer heute nicht mehr vorhandenen ›vergnügungsmeile‹ an der äusseren seestrasse, westlich des fenngrabens. Auf der anderen seite der seestrasse, gegenüber den evangelischen friedhöfen, folgten die ausschanke und gastwirtschaften der gärungswissenschaftlichen forschungseinrichtungen. Auf einem teil des eckernförder platzes an der seestrasse betrieb Ida Hoppe ihre gartenwirtschaft. Auch gegenüber, im östlichen winkel zwischen plötzensee und seestrasse lag eine gastwirtschaft. Auf der anderen seite des schifffahrtskanals folgten auf der nordseite der seestrasse, im bereich der heutigen ›dreiecksinsel‹, weitere gartenwirtschaften.

Insgesamt dürften die ausschanke und gastwirtschaften an der seestrasse auf der strecke von der afrikanischen strasse bis zur ›dreiecksinsel‹ ein tägliches fassungsvermögen von über 10.000 plätzen gehabt haben. Allein für den heute nicht mehr vorhandenen saalbau mit gartenwirtschaft der hochschulbrauerei warb der betreiber im jahr 1931 mit saalgrössen bis 1.200 sitzplätzen und einem fassungsvermögen des dazu gehörigen bewirteten konzertgartens von bis zu 4.000 personen.

Das gasthaus der gartenwirtschaft am westhafen-verbindungskanal wurde in den letzten Jahren des zweiten weltkrieges zur unterbringung von 60 zwangsarbeitern des AEG-standortes brunnenstrasse genutzt (mehr zu dieser zeit im abschnitt NS-geschichte). Auf dem gelände dieser gartenwirtschaft steht heute das gebäude der früheren brückenmeisterei seestrasse nach dem entwurf von Rainer G. Rümmler (bauzeit 1978–1980, nach aufgabe der nutzung als brückenmeisterei durch umbau verändert).

Die geschichte der äusseren seestrasse als vergnügungsmeile zeigt, dass zur bauzeit der siedlung jungfernheide und der wohnanlage an der afrikanischen strasse ein wichtiger teil der alltags- und begegnungskultur nicht wie heute in erster linie an der müllerstrasse stattfand und gedanklich dorthin orientiert war, sondern an der äusseren seestrasse, trotz der dort gelegenen friedhöfe. Deshalb waren auch siedlung und wohnanlage nicht abgelegen, sondern nah am alltagsleben derjenigen, die dort nicht lebten.

Diesen charakter hat der strassenzug der äusseren seestrasse nicht nur durch die schäden des zweiten weltkrieges verloren, sondern auch dadurch, dass er ab den 1950er jahren zu einem autobahnzubringer umgebaut wurde (mehr dazu im abschnitt verkehrsgeschichte).

Spätestens im jahr 1938 kehrten koloniale wertvorstellungen in die siedlung jungfernheide und die wohnanlage an der afrikanischen strasse in Form eines NS-arbeitsschulgartens zurück, der in unmittelbarer nachbarschaft eingerichtet wurde.

Bereits ab 1933 sah das nazi-regime arbeitsschulgärten mit NS-pädagogik für jede schule zumindest als wünschenswert an. Ab 1938 sollte jede schule im deutschen reich über einen arbeitsschulgarten verfügen. Die berliner verwaltungsbezirke sollten zu diesem zweck restgrundstücke im bestand ihrer verwaltung ausfindig machen und diese nötigenfalls benachbarten verwaltungsbezirken zur verfügung stellen.

Der wandel von der schulgarten-bewegung der weimarer republik zu einem politischen werkzeug der nazis zeigte sich auch in der wortwahl: Das nazi-regime verwendete die bezeichnung ›arbeitsschulgärten‹ und betonte damit das element der arbeit, also ein versatzstück nationalsozialistischer politik, das die propaganda des nazi-regimes als besonders ›deutsch‹ markieren wollte. Diese verwendung des arbeits-begriffs beansprucht nicht nur redlichkeit, härte und durchhaltevermögen für sich, sondern war und ist letztlich eine form von othering und abwertung: Denn faulheit ist immer die faulheit der anderen. Indem den schulgärten dieser arbeits-begriff angeheftet wurde, verzweckte das nazi-regime sie für seinen antikapitalistischen antisemitismus.

Entsprechend der absichten des nazi-regimes war das haupsächliche ziel der kolonialpolitik nun die ›ostsiedlung‹. Neben rassistischen und biologistischen inhalten sollten die NS-arbeitsschulgärten deshalb auch die grundlegenden fertigkeiten für die ansiedlung deutscher jungbauern in besetzten gebieten östlich des deutschen reichs (›altreich‹) vermitteln und naturprodukte als beitrag zur rüstungsindustrie liefern.

Einige fassungen der interessengebietspläne des generalbauinspektors für die reichshauptstadt (GBI), Albert Speer, weisen die bauten an der afrikanischen strasse als teil der ›interessengebiete‹ aus. Die möglichen folgen für die wohnanlage an der afrikanischen strasse sind unklar. Sicherlich musste damit gerechnet werden, dass diesen häusern wie auch anderen grosssiedlungen der weimarer moderne nachträglich satteldächer aufgesetzt werden sollten.

Schienenverkehrsstudien des GBI stellen im bereich der afrikanischen strasse S-bahn-trassen dar, die aus dem geplanten nordbahnhof (westlich des S-bahnhofs wedding, im bereich der heutigen lynarstraße) ausgefädelt worden wären.

Siedlung jungfernheide und wohnanlage an der afrikanischen strasse ermöglichen einen aufschlussreichen blick auf die wirtschaftsgeschichte des kommunalen wohnungsbaus und eine vergleichende betrachtung mit aktuellen fragen der wohnungspolitik.

Die bauphase 1 der siedlung jungfernheide wurde vom damaligen bezirksamt wedding in eigenregie errichtet (sog. regiebau). Das bezirksamt und die bezirksversammlung (vorläuferin der heutigen bezirksverordnetenversammlung) entschieden sich anschliessend ausdrücklich gegen die möglichkeit, diesen siedlungsteil in eine wohnungs- oder siedlungsgenossenschaft zu überführen, weil das bezirksamt den pächter·innen nicht zutraute, sich selbst zu verwalten. Stattdessen gründete das bezirksamt mit den pächter·innen der grundstücke die gemeinnützige siedlung jungfernheide gmbh, die die siedlung bis etwa 1960 als zwischenträger bewirtschaftete. Anschließend wurde die gesellschaft auf wunsch des bezirksamtes aufgelöst, wobei die pächter·innen die grundstücke und das bezirksamt die flüssigen mittel der gesellschaft erhielt.

Die finanzierung des baus der wohnanlage an der afrikanischen strasse erfolgte mit eigenmitteln der zuständigen kommunalen wohnungsgesellschaft, mit mitteln aus der hauszinssteuer, mit fördermitteln der stadt berlin aus dem ›fünf-millionen-fond‹ (gemeint ist ein budget in stabilisierter reichsmark nach ende der hyperinflation) und mit baukostenzuschüssen der künftigen mieter·innen. Die verlangten baukostenzuschüsse dürften zu einem spürbaren sozialen auswahleffekt unter den mieter·innen geführt haben.

Die blöcke I und II der wohnanlage (beiderseits der tangastrasse) wurden von der bauhütte berlin gmbh ausgeführt. Die blöcke III und IV (beiderseits der dualastrasse) führte die industriebau ag aus.

Die bauhütte berlin war teil der DEWOG-bewegung und mitglied des von Martin Wagner und August Ellinger bereits 1920 gegründeten verbandes sozialer baubetriebe.

Im Jahr 1938 übertrug die nationalsozialistische verwaltung der stadt berlin die geschäfte und vermögensbestände aller unmittelbar kommunalen wohnungsgesellschaften der stadt berlin auf die bereits in der weimarer republik gegründete wohnungsfürsorgegesellschaft berlin mbh (WFG). Damit ging auch die wohnanlage an der afrikanischen strasse an die WFG über. Rechtlich handelte es sich dabei nicht um eine verschmelzung der gesellschaften: Sie bestanden als leere hülle weiter und wurden später von amts wegen gelöscht.

Nach der zusammenfassung wurde die wohnungsfürsorgegesellschaft in gemeinnützige siedlungs- und wohnungsbaugesellschaft mbh (kurz GeSiWo oder GSW berlin) umbenannt. Das wohnbau-geschäft verblieb bei der GSW berlin, während der bisherige geschäftsbereich der wohnbauförderung abgespalten und der dafür neu gegründeten rechtlichen vorläuferin der heutigen investionsbank berlin übertragen wurde. Die GSW berlin erfüllte in berlin diejenigen aufgaben, die das nazi-regime im übrigen deutschen reich in den regionalen neue-heimat-gesellschaften zusammenfasste. In berlin wurde der name ›neue heimat‹ vermutlich deshalb nicht verwendet, weil mit diesem namen dort bereits eine andere gesellschaft eingetragen war.

Die wohnanlage an der afrikanischen strasse blieb eigentum der GSW berlin, bis ende der 1990er jahre auf betreiben der finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) eine privatisierungswelle kommunaler güter einsetzte. Zu dieser zeit verkaufte das land berlin große teile seiner stadtwerke-sparten (BEWAG, GASAG, BWB) und seiner kommunalen wohnungsgesellschaften (u.a. die GEHAG).

Die GSW berlin war von einem gesamtverkauf zunächst nicht betroffen, jedoch begann die gesellschaft zu dieser zeit mit einem auf 30 jahre angelegten veräusserungsprozess der wohnungen in der wohnanlage an der afrikanischen strasse, sodass heute nur noch eine minderheit der wohnungen eigentum der GSW ist.

Das land berlin verkaufte die GSW berlin schliesslich im Jahr 2004 unter der zuständigkeit des finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD).

Da die GSW heute nur noch ein zwischenträger der deutsche wohnen ist, könnte eine re-kommunalisierung ihrer wohnungsbestände auch auswirkungen auf die wohnanlage an der afrikanischen strasse haben.

Seit vielen jahrzehnten zieht die kreuzung seestrasse / afrikanische strasse die aufmerksamkeit von verkehrsplaner·innen auf sich.

Die seestrasse, ursprünglich angelegt als verbindungsstrasse zwischen dem schloss charlottenburg und dem schloss schönhausen, war bereits seit dem 19. jahrhundert gegenstand von entwürfen für eine ringstrasse um berlin.

Nachdem der ausbau der afrikanischen strasse begonnen hatte, gab es in den 1920er Jahren studien, die ihre achse für den ausbau zu einer ausfallstrasse vorschlugen.

In der NS-zeit sahen planungen der verwaltung des generalinspektors für das strassenwesen, Fritz Todt, und später die planungen des generalbauinspektors für die reichshauptstadt, Albert Speer, vor, die kreuzung seestrasse / afrikanische strasse zu einem autobahnkreuz auszubauen. Die seestrasse wäre nach diesen planungen teil des 2. strassenrings (von geplanten 4 strassenringen) um das zentrum von berlin geworden.

Die planungen für den 2. strassenring wurden nach dem zweiten weltkrieg jahrzehntelang in mehrfach überarbeiteter form weiter betrieben und führten zum bau des berliner stadtrings (BAB 100).

Der flächennutzungsplan für west-berlin aus dem jahr 1965 sah schliesslich vor, die strassenkreuzung für ein autobahnkreuz mit kreisverkehr freizuhalten, um an dieser stelle die geplante westtangente (heute BAB 103, BAB 105) mit dem berliner stadtring zu verknüpfen.

Für eine vom tiergarten über die torfstrasse herangeführte westtangente wurde der U-bahnhof amrumer strasse bereits so ausgeführt, dass er von einer stadtautobahn an der oberfläche oder mit einem autobahntunnel überquert werden kann. Die westtangente sollte dann weiter über die amrumer strasse verlaufen und an das autobahnkreuz mit der seestrasse angeschlossen werden.

Für den kreisverkehr des autobahnkreuzes wären die blockecken an der kreuzung seestrasse / afrikanische strasse überbaut worden. Hier wäre also unter anderem ein teil der friedhöfe an der äusseren seestrasse verloren gegangen.

Vom autobahnkreuz mit der seestrasse sollte die westtangente weiter verlaufen über afrikanische strasse und windhuker strasse, um die tangente mit der anschlussstelle kurt-schumacher-platz (BAB 105 / kurt-schumacher-damm) zu verknüpfen.

Dass der bau der westtangente ohne drastische folgen für die wohnanlage an der afrikanischen strasse geblieben wäre, ist schwer vorstellbar. Bei einer üblichen breite der berliner stadtautobahn-schneisen von 28–32 meter hätten auf beiden seiten der afrikanischen strasse für die westtangente mehrere meter der grün- und sportflächen abgetrennt werden müssen.

Der weiterbau der westtangente wurde in den 1990er jahren aufgegeben. Der widerstand gegen das projekt hatte sich ab mitte der 1970er jahre in der bürgerinitiative westtangente organisiert.

Auf anregung der akademie der künste in west-berlin wurde die wohnanlage in der afrikanischen strasse ohne die siedlung jungfernheide in den 1960er jahren unter denkmalschutz gestellt. Nach dem damals angewandten verfahren wurde die unterschutzstellung dadurch bewirkt, dass die wohnanlage in die liste der geschützten bauten aufgenommen wurde, die der bauordnung für berlin von 1966 als anlage beigefügt ist (anlage nach § 14 abs. 6 BO bln 1966). Damit ist die wohnanlage seit dem inkrafttreten der bauordnung am 1. januar 1967 denkmalrechtlich geschützt.

Dabei wurden in der auflistung irrtümlich nur die hauseingänge genannt, die direkt an der afrikanischen strasse liegen. Unser aktueller forschungsstand zur denkmalgeschichte weist daraufhin, dass sich die sachbearbeiter·innen bei der unterschutzstellung nicht im irrtum darüber befanden, dass die seitenflügel der wohnanlage zum baudenkmal gehören; vielmehr waren sie vermutlich aus historischen gründen der auffassung, dass die seitenflügel der wohnanlage zum hausnummernkreis der afrikanischen strasse gehören.

Deshalb wurden die seitenflügel mitte der 1980er Jahre nach dem nun geltenden, von der bauordnung für berlin abgetrennten landesdenkmalrecht nachträglich unter schutz gestellt (sog. nach-inventarisierung).

Im zusammenhang mit der nach-inventarisierung wurde erstmals auch eine denkmalfachliche bauaufnahme erstellt, die inzwischen wiederum in teilen überholt ist, weil einige offene fragen durch neu vorliegende quellen beantwortet werden konnten. Dazu zählt beispielhalber die struktur der gartenanlagen, die aufgeklärt werden konnte durch historische luftbilder, die in den 1980er Jahren nicht zugänglich waren, und durch eine veränderte deutung historischer verwaltungsakten.

Gegenwärtig ist die garten- und wegestruktur der wohnanlage durch baumassnahmen des bezirksamtes mitte von berlin gefährdet.

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